Obstbausymposium 2017
03./04.11.2017
Im Rahmen der Jubiläumsveranstaltung 700 Jahre Werder (Havel) luden die Stadt Werder (Havel), der Gartenbauverband Berlin-Brandenburg und der Obst- und Gartenbauverein Werder am 3. und 4. November 2017 zu einem Symposium "Obstbau in der Mark–Möglichkeiten und Chancen einer regionalen Produktion" ins Schützenhaus Werder (Havel) ein. Es gab verschiedene Vorträge mit den Schwerpunkten gesellschaftliche, wirtschaftliche und technische Entwicklungen sowie eine Apfelsortenausstellung von deutschen Züchtungsinitiativen mit dem Fokus auf neue Sorten. Daneben gab eine Posterschau Einblicke in aktuelle Forschungsprojekte.
Redebeitrag der Bürgermeisterin Frau Manuela Saß vom 3. November 2017 zum Obstbausymposium:
"Es gibt Termine für eine Bürgermeisterin, die sie ganz besonders gern wahrnimmt. Zu diesen Terminen gehörte vor einem Jahr ein Besuch bei der Havelfrucht GmbH in Glindow. Zum Jahresende 2016 wurde eine 28 Fußballfelder große Fläche der Havelfrucht auf der Glindower Platte mit Apfel- und Pflaumenbäumen bepflanzt. Zu den Pflichten der Bürgermeisterin gehört gelegentlich auch die Betreuung des Enkelkindes, so war das auch an jenem Freitagnachmittag. Mein Enkelsohn wurde auf den Traktor gesetzt. Erst war er skeptisch, aber er erzählte noch sehr lange davon. Die Havelfrucht weiß schon, wie man sich frühzeitig um den Obstbauern-nachwuchs kümmert.
Es gibt sehr viele Probleme beim Obstbau, der Nachwuchs ist eines davon. Ein anderes ist eines der schlechtesten Erntejahre seit Langem. Die Obstbauern in Werder hat es in diesem Jahr besonders hart getroffen und sie benötigen schnelle und unkomplizierte Hilfe vom Land. Die Frostberegnung ist ein großes Zukunftsthema in einer Zeit, in der der Frühling immer früher beginnt, die Bauern aber trotzdem nicht von Spätfrösten verschont bleiben. Die Betriebsnachfolge ist schwierig. Ein anderes Problem ist das Brauchwasserwerk. Es muss saniert werden und wir zählen auch hier auf die Unterstützung aus Potsdam.
Früher hatten die Obstbauern ein Dampfschiff nach Kaiser Wilhelm I. benannt. Immer, wenn es am Babelsberger Schloss vorbeidampfte, schickte es Signaltöne hinauf zum Kaiser. Der hat sich gefreut und sein Hof war bekanntermaßen immer wieder in Werder. Heute ist das Zusammenspiel mit der Landesregierung nicht immer so pittoresk. Aber es gibt auch Lichtblicke. Und auch über die muss unbedingt und immer wieder geredet werden in einer Branche wie dem regionalen Obstbau, die mit so vielen positiven Emotionen belegt ist.
Und es gibt allen Grund dazu. Wir haben Herrn Giese gefragt: Ungeachtet der massiven Probleme mit der diesjährigen Ertragslage soll die Pflanzaktion bei der Havelfrucht in den kommenden Jahren weitergehen. „Wir lassen uns nicht von unserem Weg abbringen“, hat er uns gesagt. Die Werder-Frucht-Tochter will ihre Anbaufläche von 135 auf 200 Hektar vergrößern. Die jüngste Erhebung der Stadt unter den Obstbauern hat gezeigt, dass insgesamt kein Rückgang der Anbauflächen mehr zu erwarten ist.
Im Gegenteil soll die gesamte Obstanbaufläche im Bereich Werder von etwa 350 auf 450 Hektar anwachsen. Dazu wird nicht allein die Havelfrucht, dazu werden auch die vielen kleineren Obstbaubetriebe beitragen, deren Familien bisweilen schon seit mehreren Generationen den Obstbau in Werder am Leben und die Plantagen am Blühen halten. Ich bin froh über die Mischung, zu der es seit den Jahren nach der Wende gekommen ist und die womöglich die Perspektive zeigt. Denn der Bedarf an Obst und Gemüse aus der Region, so höre ich es immer wieder von Herrn von Schoonhoven und seinen Kollegen bei Werder Frucht, wächst.
Neben der Havelfrucht GmbH, mit der die Erzeugnisse der Obstanbauregion in die Supermärkte gelangen, gibt es viele kleine und traditionelle Obsthöfe, die ihre Erzeugnisse in Hofläden und auf Märkten in Berlin und Brandenburg verkaufen. Ich möchte hier als Beispiel Stefan Lindicke nennen, der als Geschäftsführer unseres Obstbauernvereins wichtige Lobbyarbeit, auch ins Rathaus hinein, leistet. Oder die Höfe von Frank Wache und von Heiko Wels, die seit Jahren bei der Wahl unserer Blütenkönigin engagiert sind. Oder den Obsthof von Jürgen Deutscher, der mit immer neuen Ideen, wie der Apfelpatenschaft, auf Kundenfang geht.
In Werder gäbe es ohne die vielen, kleineren traditionellen Obstbaubetriebe keinen Frühling mehr. Und es gäbe ihn nicht ohne die großen. Einer tut dem anderen nicht weh. Im Gegenteil: Mein Eindruck ist, dass aus einer alten Konkurrenz zwischen großen und kleinen Strukturen zunehmend eine vertraute Nähe wird, wie ich sie mir als Bürgermeisterin der Branche nur wünschen kann. Ich bin mir ganz sicher: Beide Seiten können davon profitieren.
Alle zusammen sorgen dafür, dass Werder seinen Ruf als Obstgarten Berlins und Potsdams behält und eine wirkliche Blütenstadt bleibt. Und es ist, wie uns die jüngsten Zahlen zeigen, nicht mehr nur ein Wunschtraum: Durch die laufende Erneuerung der Obstplantagen könnten die Gäste des Baumblütenfestes auch in Zukunft eine blühende Obstflur in Werder (Havel) vorfinden. Die Stadt tut dafür, was sie kann. Wir werben bei Messeauftritten und in unseren Publikationen für den Obstbau, stehen in engstem Kontakt mit unserem Obstbauverein. Und wir bringen uns seit Jahren massiv ein bei der Versorgung der Plantagen mit dem unentbehrlichen Brauchwasser.
Am 7. Juli diesen Jahres hat die Stadt für ihr Engagement für den Obst- und Gartenbau die Peter-Josef-Lenné-Medaille verliehen bekommen. Zu solchen Anlässen hört man ganz besonders schöne Sätze über unsere Stadt, und meist sind sie sogar zutreffend. „Grün begünstigt das Leben in einer Stadt und macht es attraktiver“, sagte der Akademie-Vorsitzende Dr. Hans-Hermann Bentrup in seiner Laudatio. Werder (Havel) sei ein gutes Beispiel, dass dies auch in einem Interessenausgleich mit dem Obstbau und der Landwirtschaft funktionieren kann. Gartenbau und Stadtentwicklung seien eine Symbiose eingegangen. „Die Stadt hat ein Faible für ihre Gärtner, das spüre man überall“, sagte Dr. Bentrup.
Die Lenné-Medaille wird durch die Lenné-Akademie an Personen, Einrichtungen oder Institutionen vergeben, die sich um die Grünentwicklung in der Tradition des berühmten preußischen Gartenkünstlers verdient gemacht haben. Nun kann man sich fragen, was der berühmte Gartenkünstler mit unserer Stadt zu tun hat. Lennés landschaftskünstlerisches Werk bildet einen wesentlichen Teil der Berlin-Potsdamer Kulturlandschaft, die von der Pfaueninsel bis nach Werder (Havel) reicht. So bildet der Petzower Park den südlichsten Zipfel von Lennés „Verschönerungsplan für Potsdam und Umgebung“ von 1833.
Lenné hat dafür eine Landschaft betrachtet, in der nicht viel los war. Er konnte sich aber vorstellen, wie man sie verschönern kann. Auch in Werder wurde dieser Weg beschritten. Werders Ortschronist Dr. Baldur Martin hat die Entwicklungen in vielen Veröffentlichungen dokumentiert. So wissen wir heute auch: Lenné hat bei seinem Verschönerungsplan nicht vor Werder (Havel) aufgehört. Vielmehr sind die Obstgärten in Werder (Havel) einbezogen worden. Und es ist überliefert, dass der Gartenbaumeister den Werderschen spezielle Obstbäume gespendet hat. Mit dem Schlosspark und der Kirche in Petzow, aber auch mit der Heilig-Geist-Kirche auf der Inselstadt sind prägnante Wegmarken in die Kulturlandschaft gesetzt worden.
Womöglich wurde hier der Grundstein zu der Symbiose gelegt, die die Stadtentwicklung bis heute mit dem Obstbau eingegangen ist. Lennés Verschönerungsplan fiel ja in eine Zeit, als der Obstbau in Werder expandierte. Im Band 5 der Werderchronik, die anlässlich unseres Stadtjubiläums herausgegeben wurde, sind die Entwicklungen anschaulich dargelegt. Die Havel als schneller Wasserweg nach Berlin und die klimatisch günstigen Anbaubedingungen brachten den Werderanern entscheidende Wettbewerbsvorteile. Sie fokussierten sich ganz auf den Berliner Markt, wo gerade im Sommer die Konkurrenz nicht groß war. Erdbeeren, Himbeeren, Johannisbeeren, Stachelbeeren und vor allem Kirschen waren die Früchte, die die Berliner aus Werder (Havel) damals wollten.
Mit dem Etagenobstbau wurde jeder Quadratmeter Fläche genutzt. Es wurde gepachtet und gekauft, was das Zeug hielt. Um 1870 reichten noch zwei Hektar, um eine Familie zu ernähren. Mit der wachsenden Nachfrage wuchsen aber auch die Anbauflächen. Die Adelsgüter in Plessow, Kemnitz und Petzow verpachteten ihr Land. Hinzu kamen Flächen in Glindow, Plötzin, Krielow und natürlich in Werder (Havel). Bald war alles aufgeteilt. „Haste Land, biste anerkannt“, hieß es bei den Werderschen. Angebote wie die von Lenné gegründete Landesbaumschule im Wildpark wurden gern angenommen. Aber es gab auch ureigene und bekannte Werdersche Züchtungen wie Kassins Frühe, Liefelds Braune oder die Schmahlfeldt‘sche.
Die Entwicklung ging einher mit einem zunehmenden Interesse des kaiserlichen Hofes an unserer Stadt. Bei Einweihungsfesten wie der Aufstellung des Kriegerdenkmals auf dem Marktplatz oder des Kaiser-Friedrich-Denkmals vor der Schule oder zu Obstausstellungen hießt es immer wieder: Der Kaiser kommt. Die Werderaner wurden sich bewusst, dass ihre Stadt und die Landschaft drum herum ein Pfund waren, mit dem sie wuchern konnten. Und sie waren von Anfang an gute Gastgeber. Einzelne durften sich bald zu den Hoflieferanten zählen, was gewiss zur Werderaner Markenbildung beigetragen haben wird.
Es gab keine steile Kurve nach oben: Mit der Eisenbahn vereinfachten sich die Transportwege und Obst und Gemüse aus ganz Deutschland überschwemmte auch den Berliner Markt. Der Konkurrenzdruck wuchs, aber die Werderschen hielten zusammen wie Pech und Schwefel. 1878 gründeten die Obstbauern einen Verein und suchten nach Auswegen aus der Situation, indem sie gemeinsam für sich warben, Anbaumethoden verbesserten und sich weiterbildeten. 1879 wurde erstmals das Baumblütenfest gefeiert, eine Punktlandung für die ganze Stadt. Bis heute danken wir dafür dem Festerfinder Wilhelm Wils.
Aber man punktete auch international: 1900 war der Obstbauverein an der Pariser Weltausstellung beteiligt. Sie hatte 48 Millionen Besucher und gehörte zu den erfolgreichsten ihrer Art. Die Werderaner Obstzüchter kamen mit dem Grand Prix nach Hause. Und letztlich war unser Werderaner Obstbauverein die Keimzelle des Reichsverbands des deutschen Gartenbaus, also der Vorgängerorganisation des Zentralverbands Gartenbau der heutigen Bundesrepublik.
All diese Entwicklungen gingen einher mit einem enormen Anstieg des Ausflugstourismus nach Werder (Havel), der um 1900 in einen kolossalen Siedlungsdruck mündete. Er wurde bewusst gesteuert, denn die Werderschen haben schon damals begriffen, dass Kulturlandschaft bewahrt werden muss und das Stadtgrün ein Pfund ist, mit dem gewuchert werden kann. So ist es im Wesentlichen bis heute geblieben.
Nach den beiden Weltkriegen rappelten sich die Stadt und der Obstbau wieder auf und ich möchte kurz auf die Entwicklungen in den DDR-Jahren eingehen. Sie waren für viele Obst- und Gartenbauern mit dramatischen Einschnitten verbunden. 1500 Betriebe im Haupt- und Nebenerwerb sind in den 1960-Jahren zwangskollektiviert worden. Unternehmer, die jahrzehntelang immer wieder durchs Feuer gegangen waren, standen vor dem sozialistischen Nichts. Traditionsgeschichten wurden unterbrochen und gute Leute flohen in den Westen.
Doch bei der Großproduktion auf 10.000 Hektar Anbaufläche blieb Werderaner Knowhow auch in der DDR dringend gefragt. So blieb der Obstbau in Werder (Havel) selbst unter Ulbricht und Honecker eine Erfolgsgeschichte. Werder (Havel) bildete das Zentrum des Havelländischen Obstanbaugebietes, Professor Greulich von der Lenné-Akademie hat diese Zeit ausführlich dokumentiert: Die „Werdersche Obsthecke“ machte Leitern bei der Apfelernte überflüssig. Alle Flächen konnten beregnet werden. Zur Bodenverbesserung kam Seeschlamm zum Einsatz. Zur Bestäubung war jeder Hektar mit vier bis fünf Bienenvölkern bestückt. Kaltnebelgeräte bekämpften Kirschfruchtfliegen, durch Hubschrauber wurde bei der Mehltaubekämpfung Pflanzenschutzmittel gespart. Solange kein Funktionär dazwischenfunkte und keine Maschine streikte - was beides vorkam - funktionierte der Betrieb recht ordentlich.
Die versammelte Werderaner Erfahrung konnte leider den Grünen Grässlichen nicht verhindern: In der DDR war der Golden Delicious, der Gelbe Köstliche, nämlich oft sauer und grün. Das lag daran, dass die SED-Bezirksverwaltung festgelegt hatte, die Äpfel ungeachtet der Erntefenster bis zum 7. Oktober, dem Jahrestag der DDR, abzuernten, damit die Parteiführung zum „Tag der Republik“ die Produktionserfolge feiern konnte.
Die Kleinproduktion in Hausgärten und der Kleinhandel entlang der B1 ging derweil weiter und im privaten Obstverkauf schmeckten die Äpfel wie eh und je. Die B1 war deshalb auch als Vitaminstraße bekannt.
Nach der Wende knüpften Familien wie Wache, Wels, Conson, Heese, Lindicke oder Hübner an alte Familientraditionen an. Hinzu kamen Neugründungen, wie Deutscher, Barth-Remus oder Schultz. Die Voraussetzungen für einen Neustart waren alles andere als leicht, Eigenkapital war so gut wie nicht vorhanden und bisweilen nicht einmal Flächen. Reichlich gab es dafür Mut, Überzeugung und den festen Glauben an unseren Obststandort Werder (Havel). Ab 1991 entwickelte sich, massiv unterstützt durch die Stadt, der Obst- und Gemüsemarkt auf dem Strengfeld.
Unser damaliger Bürgermeister Werner Große behielt im Auge, dass Werder (Havel) durch seinen Ruf als grüne und blühende, traditionsbewusste Stadt auch bei Ausflugstouristen punkten konnte.
Als nach der Wende zum Beispiel Pläne im Raum standen, den Wachtelberg oder den Galgenberg zu bebauen und den grünen Bereich zwischen Hohem Weg und Eisenbahnstraße zu verdichten, wurden sie durch unseren Ehrenbürger verhindert. Und das Baumblütenfest knüpfte wieder stärker an alte Traditionen an. An diese hervorragende Vorarbeit konnte ich als Bürgermeisterin anschließen.
„Die Stadt hat ein Faible für ihre Gärtner, das spürt man überall“, sagte Herr Dr. Bentrup bei der Verleihung der Lenné-Medaille. Dabei wird es auch in Zukunft bleiben. In nächster Zeit werden die Bauarbeiten im Lindowschen Haus beginnen. Das letzte Obstbauerngehöft im Stadtzentrum konnte über die Nachwendejahre gerettet werden, es soll der neue Bürgerservice mit Tourismusinformation werden. Die neue Anlage soll von Obstgehölzen flankiert werden und das Stadtzentrum mit den neuen Schuffelgärten, dem aufgerebten Galgenberg und der Bismarckhöhe verbinden, von der man einen Blick über die grüne Stadt an der Havel und ihre Obstplantagen hat.
Es ist eine Verbindung, die immer lebendig gehalten wurde, die zur Vergangenheit der Stadt gehört wir zu ihrer Zukunft. Das weiß jetzt auch mein Enkelsohn."